16. - 19. Jahrhundert

Festungsstadt

Im 16. Jahrhundert erlangte die kleine Stadt neue Bedeutung.
Philipp der Großmütige, Landgraf von Hessen, baute sie zur Landesfestung aus. Als Vorkämpfer der Reformation lag ihm daran, sein Territorium abzusichern. So ließ er mehrere Städte durch Wall und Graben befestigen, ab 1530 auch Gießen.

Die Erweiterung zum Militärstützpunkt veränderte den Alltag der Gießener. Soldaten zogen hinzu, die von den Bürgern beherbergt werden mussten. Offizieren und Festungskommandanten wie Adam Schmalz war wie den Regierenden zu gehorchen. Es galt Pflichtdienste zu leisten. Nicht nur beim Bau der Festungsanlage und zu ihrer Instandhaltung, sondern 1547 auch zu ihrer zerstörenden Schleifung nach einer Niederlage und dann wieder bei ihrem Wiederaufbau ab 1560. Mehrmals modernisiert, taugte sie zu Beginn des 19. Jahrhunderts nicht mehr für Verteidigungszwecke und wurde eingeebnet. Heute erinnern nur noch Straßenverläufe und ein baulicher Rest im Hof des Arbeitsamts an sie.

Adam Schmalz und seine Familie: Ein ungewöhnliches Familienportrait

Adam Schmalz war kein Gießener. Er wurde 1575 in Treysa bei Ziegenhain geboren. Sein Karriereweg ist weitgehend unbekannt, doch um 1612/1613 übernahm er den Posten des Gießener Festungshauptmanns. Nach 14jähriger Dienstzeit starb er in der Zeit des dreißigjährigen Krieges am 26. August 1626 in Gießen, wie eine Schrifttafel in der oberen Mitte des Bildes mitteilt:

„Der Ehrnvest und Manhaffte Adam Schmaltz Fürst(lich) hess(ischer)bestellter Capitain in dere vestung und Statt Giessen, ist A(nno) 1575, den 26. Aug(ust) zu Dreijss Ziegenhain geboren, und nach deme er dero ufgetragener Capitain-schaftt 14 Jar mit ehr und ruhm verwalttet hat, ist er Ano : 1626, den 26te Augusti, alhier, im Herzen Chrijsto sanft und sehlig entschlafen, seines altters zwei Jar erwarttet alhieder frölichen aufferstehhung.“
 

 
Familie Schmaltz 1626, unbekannter Maler         
Oberhessisches Museum (transit giessen)


(transit giessen M.S.)

Er selbst oder seine Familie haben den Auftrag zu einem Epitaphgemälde erteilt. Der Maler ist unbekannt. In seinen Abmessungen ist das Bild recht groß geraten und auch die Art der Darstellung steht für die Region alleine. Die ganze Familie, der verstorbene Adam Schmalz, sein Sohn Adam und seine Ehefrau sind frontal abgebildet. Ungewöhnlich dabei ist das Fehlen jeglicher religiöser Symbolik. Üblich war es in dieser Gattung der Grabmalkunst den Verstorbenen in anbetender Haltung vor einem Andachtsbild, z. B. der Kreuzigung oder der Trinität wiederzugeben. Die hier gezeigte Zusammengehörigkeit erinnert stark an Familienbildnisse, die bereits im frühen 17. Jahrhundert in der niederländischen Malerei entstanden, zusammen mit den Porträts von Ehepaaren. Allerdings werden in den Gesichtern noch keine Emotionen anschaulich.
Die Malerei ist von beachtlicher Qualität. Abstimmungen von Details wie das Zusammenspiel von Haube und Kragen der Mutter oder Oberlippenbart und Krause des verstorbenen verhindern Kleinteiligkeit. Das Buch setzt vor dem dunklen Gewand rechts einen farblichen Akzent. Aufgrund der Qualität der Malerei, der Ikonographie ist die Leistung eines beachtenswerten Meisters gegeben. Mit den bei gefügten Texten erweisen sich viele Epitaphien des 17. Jahrhunderts als äußerst mitteilsam. Die Schriftzeilen der Kartusche bieten Einblicke in Leben und Beruf des Verstorbenen. ln den umlaufenden Texten finden sich dessen persönliche Gedanken und Glaubensvorstellungen. Alle Zeilen der Bildumschrift sind jeweils auf das Bild hin ausgerichtet und daher fällt es dem Betrachter schwer, die seitlichen Texte zu entziffern, bei den unteren, die für ihn auf dem Kopf stehen, ist es gar unmöglich.
Zu diesem Befund könnte man überlegen, ob vielleicht eine andere Präsentation, z. B. auf Stützen in waagrechter Anbringung zugelassen wurde, eventuell nur zeitweise, am Todestag. Dann könnte im Umschreiten alles gelesen werden. Es ist bezeugt, dass Gräber zu derartigen Anlässen besonderen, auch zusätzlichen Schmuck erhielten, u. a. durch textile Behänge, wie im Oberrheingebiet überliefert. Hier besteht durchaus noch Diskussionsbedarf. (Christa Benedum)

Epithaph von Baltzer Becker (1603-1645), Öl auf Leinwand, 1641 (Oberhessisches Museum Gießen).

Rechts in Bild sieht man den Maler Baltzer Becker mit seiner Familie in andächtiger Haltung: Uttilia Beckerin, vor ihr die Söhne Johan Melchior und Gerhart, der bereits verstorben ist, wie ein rotes Kreuz über seinem Kopf zeigt. Zur Seite der Mutter, kniet die ebenfalls bereits verstorbene Tochter Anna Ursula.

Christus als Kreuzträger dominiert die Figurenkomposition vor dem Hintergrund einer Stadt. Die Inschrift unten links lauter: „1641 den 3. Mai. Dieses macht ich zu einer guten Erinnerung des Leidens und Aufführung Christi und mir und meiner Hausfrau und Kindern zu einem Gedächtnis. (…) Baltzer Becker, Maler allhier 1641.“ Der Künstler schuf seit 1631 etwa 23 Porträts der Gießener Professorengalerie.

 


Leute von Stand

Die Familie des Adam Schmalz gehörte zu den gehobenen Ständen in der Stadt, was sich über die dargestellte Kleidung dokumentiert. Adam Schmaltz war Festungs- und Stadtkommandant. Seinem Rang entsprechend trägt er Schärpe und Degen, die auch dem kleinen Adam angelegt sind. Der Stab in seiner Rechten scheint leicht und aus Holz gearbeitet zu sein, ist nicht glatt, sondern hat kleine astartige Ansätze. Die Westen von Vater und Sohn gleichen sich in Schnitt und Farbe auch im Besatz. Das Gewand der Mutter ist dunkel, Schnittführung und Machart sind kaum auszumachen. Die sehr fein gefältelten Manschetten sind hell, die Haube der Mutter gibt ebenfalls diese Struktur wieder. Gut zu erkennen sind die verschiedenen Kragenformen. Derjenige der Mutter ist eindeutig ein Mühlsteinkragen, wie er bereits auf einem Porträt des Prinzen von Oranien, Wilhelm I., aus der Zeit nach 1589 begegnet. Der Kragen des Vaters ist stärker von der Krause geprägt, die einzelnen Stofflagen sind nicht so streng voneinander getrennt, zu einer jüngeren Entwicklungsform gehört der tellerartige Leinenkragen des Knaben, der wahrscheinlich mit kostbaren flämischen Spitzen versehen ist. (Christa Benedum)

   
Beispiel für die Bekleidung eines                        Stadtbaumeister Ebel zum Hirsch,      Ernst Albrecht von Eberstein,
Gießener Ratsmitgliedes, Johann Daniel Staudt    Clemens Beutler von 1625                 Gießener Festungskommandant
(Oberhessisches Museum Gießen).                     (Oberhessisches Museum Gießen).     1644 bis 1648, gestorben 1676

                                                                                                (Oberhessisches Museum Gießen).


Kommandant Sayn-Wittgenstein mit Familie Ende 18. Jahrhundert (Oberhessisches Museum Gießen).


Was ein Festungskommandant entschied

Die Zuständigkeit des Kommandanten war auf den militärischen Bereich bezogen, auf die Festung. Doch im Konfliktfalle übernahm er das Kommando über die gesamte Stadt und darüber hinaus. Dies erforderte Fingerspitzengefühl und ein gutes Einschätzungsvermögen der jeweiligen politischen und militärischen Lage.

1621 entstand eine durchaus brenzlige Lage als feindliche Truppen unter Christian von Braunschweig bis in unmittelbare Nähe der Festung Gießen vorgerückt waren. In dieser Situation konnte oder wollte Stadthauptmann „Adam Schmalz es nicht verhindern, daß braunschweigische Soldaten schon einzeln in der Festung ein- und ausgingen um Lebensmittel zu kaufen und sich zu ´mundieren´ (versorgen); freilich verlangte er Ablegen der Gewehre an den Toren der Stadt. Der Landgraf verbot dem Gießener Hauptmann auf das nachdrücklichste, das Betreten der Festung durch fremde Truppen zu dulden, da hierdurch Gießen der größten Gefahr ausgesetzt würde. Welche Folgen die Sorglosigkeit des Hauptmanns für die Stadt haben konnte, liegt auf der Hand. Mit Leichtigkeit wäre es im Ernstfalle dem Braunschweiger gelungen, sich der Festung Gießen durch Überrumpelung zu bemächtigen, zumal ja die Besatzung noch äußerst schwach war.“ (Beyhoff, Fr., Die Stadt Gießen im Zeitalter des 30 jährigen Krieges, MOHG/NF 20/1914 und 23/1920, S. 7)

Eine ähnliche Situation ergab sich 1626 als tilly´sche Truppen auf dem Trieb lagerten. Sie wollten sich ebenfalls in der Stadt versorgen und drohten mit Gewaltaktionen, wenn man sie hindern wollte. „Etliche Reiter haben verlauten lassen, wenn sie so aus der Stadt sollten versperrt werden, daß sie sich nicht mundieren oder ihre Nordurft kaufen könnten, wollten sie unser Rindvieh im Wald darniederschießen oder den Bürgern die Köpfe abhauen.“ Auch hier war die Entscheidung des Festungskommandanten gefragt. Vermutlich zum Schutze der Bürger erließ der Stadthauptmann am 19. Juli 1626 eine Bekanntmachung, daß die Zäune am Walde geschlossen werden und keine Schweine auf dem Wall laufen sollten, damit nicht auf sie geschossen würde. (Beyhoff, S. 15) In beiden Fällen scheint das Verhalten des Kommandanten Schmalz keine Bestrafung nach sich gezogen zu haben. Dies konnte jedoch auch ganz anders ausgehen, wie das Beispiel des Marburger Kommandanten H. Christian Willich aus dem Jahr 1646 zeigt: Der hatte sich, als die belagernden niederhessischen Truppen eine Bresche in die Befestigung geschossen hatten, auf das Marburger Schloß zurückgezogen und die Stadt preis gegeben. Der Landgraf befahl Willich die Stadt „bey Verlust seines Kopfes bis auf´s äußerste zu vertheidigen“. (Beyhoff, S. 129)
Als die Angreifer mit Kanonen auf das Schloss feuerten,kapitulierte Willich nach zwei Tagen, weil er weder Pulver noch Munition für seine Kanonen hatte. Er erhielt einen ehrenvollen Abzug und begab sich nach Gießen. Dort wurde er jedoch vom Landgrafen vor ein Kriegsgericht gestellt, zum Tode verurteilt und auf dem Gießener Marktplatz geköpft. (Otto Buchner,Aus Gießens Vergangenheit, 128-132)


Die befestigte Stadt

Schanzen, Wälle und Wachen

C. F. Bahrdt: „Gießen ist ein kleines Städtchen mit noch nicht einem Dutzend moderner Häuser; auf den Gassen liegt Schmutz, vor den Häusern der Misthaufen, keine Straße ist gerade; Wälle, die man demolieren sollte, sind höher als die Häuser“.


Caspar Chemlein, 1612 (Stadtarchiv Gießen).

Die Festungsstadt war ein Produkt der landgräflichen Machtpolitik, die den Entwicklungen der Militärtechnik Rechnung trug. Angesichts der mauerbrechenden Artillerie verloren die mittelalterlichen Stadtmauern -Türme ihre Schutzfunktion. Gegen Kanonenkugeln erwiesen sich flache Wälle mit schrägen Flanken als besserer Schutz. Im Zuge des Festungsausbaus wurde das Gießener Stadtgebiet auf das Mehrfache seines ursprünglichen Umfangs erweitert, Stadtgrenzen und Stadteingänge nach außen verlegt. Im inneren der Festung füllten Gärten die Räume zwischen den Häusern und den Wallanlagen.
Die Wälle bestanden innen aus einer steilen Böschung, dem Wallgang und einer Brustwehr, die teilweise mit Steinen belegt war, sowie der äußeren Wallböschung. An den Bastionen erweiterte sich der Wall zu Geschützplattformen. Eingebaute Rampen machten die Wälle für schweres Gerät zugänglich. Die Wallanlage selbst hatte eine Tiefe von bis zu dreißig Metern und war bis zu 15 Metern hoch. Daran schloss sich der bis zu 45 m breite, mit Wasser gefüllte und etwa 2,5 m tiefe Wallgraben an. Davor befand sich außen ein gegen das Glacis hin gedeckte Weg, der bis zu 18 m breit sein konnte. Wenn man sich die Dimensionen vorstellt, wird die kleine Siedlung durch die Festung fast erdrückt. Seit dem Bau der Festung gab es immer wieder Unwillen in der Bürgerschaft Gießens und auch in den Dörfern der Umgebung, weil sie für die Unterhaltung der Festung zu sorgen hatten. Sowohl die Stadt Gießen als auch Kommunen im Umkreis waren in diesem Zusammenhang zu bestimmten Diensten verpflichtet. Der Stadt Gießen oblag z. B. die Instandhaltung der Brücken über den Wall. Immer wieder wurden die Stadt- und Landbewohner zu Festungs- und Schanzarbeiten herangezogen. Dies geschah bereits beim Bau der Festung, bei der Schleifung und ebenso bei ihrem Wiederaufbau.
Weil diese Arbeiten kein Ende nahmen, war die Motivation der Arbeitskräfte niedrig. So klagten die Kommandanten: „die Leute sind sehr träg zur Arbeit, wiewohl es ihnen an Antreibern nicht mangelt.“ (Otto Buchner, Aus Gießens Vergangenheit, 115) Wenn die Mängel besonders schwer z. B. der Graben verschlammt und versandet war, mussten selbst Soldaten zu diesen Arbeiten herangezogen werden, „weil sie mit den Weibern und Jungen gar zu säumig gefördert wurde.“ (Otto Buchner, Aus Gießens Vergangenheit, 116.)
Weil die Festung Gießen keine festgelegte Garnisonsstärke hatte, wurden auch andere Dienste auf die Bürger abgewälzt und diese auch zu Wachdiensten auf den Wällen herangezogen. Auch das Verhältnis zu den Soldaten gestaltete sich nicht spannungsfrei. Es waren fremde Söldner und sie wurden selbst von der Obrigkeit als Gesindel, Schelme, Diebe und Deserteure bezeichnet. Doch im Kriegsfalle waren die Gelder knapp und man bekam das, was man bezahlen konnte.
Da es in Gießen keine Kasernen gab, wurden die jeweils angeworbenen Soldaten ins Bürgerquartier gelegt und mussten auch von den Bürgern verpflegt werden. Dies waren wenige Soldaten in Friedenszeiten, in Kriegs- und  Spannungszeiten wurde die Truppenstärke jedoch wesentlich erhöht.
Auf Anweisung des Landgrafen hatte der Stadtrat dafür zu sorgen: „damit unser Capitain und Interims-Commendant allhier, Johann Wilhelm Gerber, mit einem zulänglichen Losament von zwey Stuben und zwey Cammern nebst einer Küche und Boden, wie auch einem Keller zu seiner Haushaltung versehen werde.“ (Rescript Ernst Ludwigs an die Regierung in Gießen 4. 8.1694, L 111a Einquartierungsangelegeneheiten Nr. 4)

Dies gab Anlass zur Unzufriedenheit, denn „die mit den Einquartierungen verbundenen Beschwernisse wurden umso drückender empfunden, als sich ein großer Teil der Gießener Einwohnerschaft hiervon zu befreien wusste. (…) Die Lasten der Einquartierung ruhten wesentlich auf dem ärmeren Teil der Bevölkerung. Durch landesherrliches Privileg hatten sich z. B. die Ratspersonen und viele andere reiche, angesehene Personen freigemacht, also gerade diejenigen, denen die Lasten nicht zu schwer geworden wären. (…) Auch um die (…) häufiger auferlegten außerordentlichen Soldaten- und Festungssteuern verstanden sich viele privilegierte Bürger zu drücken (…). Die übrigen Bürger empfanden diese Steuer umso drückender, da sie noch den Ausfall, der durch die Privilegierten entstand, decken mussten.“ (ebd.)

Die Auseinandersetzungen um die Einquartierungen, zu denen auch noch die fremder Soldaten auf Durchmärschen gehörten, bildeten eine Art Dauerbrenner im Verhältnis Stadt und Festung. So schrieb noch am Ende des 18. Jahrhunderts der Gießener Quartiermeister Rach: „Daß das hiesige Quartier Amt, seit seiner Existenz, ein Streitamt – und dergestalt mit dem bittersten Verdruß und Aergerniß verknüpft war, daß meine Vorgänger in selbigem sich genöthiget fanden, um der vielen Verdrüßlichkeiten sich überhoben zu sehen, nach wenigen Jahren wieder abzudanken, beruhet nicht nur in der allgemeinen Notortaet, sondern auch die bei fürstl. Ober Amt registrirte Acten werden diese Behauptung bewarheiten.“
Die Garnisonsstärke wechselte häufig, je nach politischer Lage und damit auch die Belastungen für die Bürger. 1644 weißt ein Verzeichnis eine Mannschaftsstärke von „7 Kompagnien 414 Mann, 2 Komp. Ausschuß 238 Mann, hiesige Bürger 201 Mann, Land- oder Bauernausschuß 230 Mann, etliche Diener 35 Mann, Räthe-, Beamten- etc, Diener 25 Mann, Hofbursche 61 Mann Sa. 1249 Mann“ auf. Das bedeutete lediglich 652 Mann reguläres Militär, „wobei zugleich bemerkt wird, dass „1500 Mann gute Truppen auf dem Wall allein zum Gewehr“ nötig wären. (Nach Otto Buchner, Aus Gießens Vergangenheit)
 


Wallanlage (Vermessungsamt Gießen).
 

Vom Rüstungsgut zum Theaterrequisit

Immer wieder stoßen Baggerzähne bei Bauarbeiten in der Gießener Innenstadt auf Reste der Festung. Etwa 360 Jahre (von 1530 bis Ende des 18. Jahrhunderts) dauerte die Gießener Festungszeit. Zerstört wurde sie schließlich nicht durch Kriegsereignisse oder Feindesmacht, sondern durch das beständige Nagen des Zahns der Zeit.
Die militärische Funktion der Befestigungsanlagen war durch die fortgeschrittene Militärtechnologie bereits wesentlich eingeschränkt und anscheinend ist auch nicht mit Nachdruck an der Instandhaltung der Festungsanlagen festgehalten worden. Sie waren in schlechter Verfassung. So waren Ende des 18. Jahrhunderts entgegen strengsten Verboten immer wieder Steine der Streichmauer entwendet worden. Um 1798 hatte man das Ravelin (Vorwerk) vor dem Neustädter Tor geschleift und die dortige Zugbrücke war ruiniert. Daraufhin wurden alle Zugbrücken gepflastert, womit sie natürlich ihre militärische Funktion verloren. Ebenfalls hatte man damit begonnen den Festungsgraben im Bereich des Neustädter Tores zuzuschütten.
So war es nur folgerichtig, dass der Landgraf am 3. Dezember 1803 anordnete: „Werden Wall abtragen will lassen und den Graben zuwerfen, dem wird es bewilliget, und es mir daran gelegen und mein Wille ist, daß die ganze Festungs-werke demoliret und zu Bauplätze benutzt werden sollen.“ Den Schlusspunkt der Festungszeit bildete die Auflösung des Zeughauses, des landgräflichen Waffenarsenals. Im November 1811 wurde das restliche Inventar auf vier vier-spännigen Wagen nach Darmstadt überführt. Ein Teil der Rüstungen wurden an das Hoftheater abgegeben. (Jürgen Rainer Wolf, in: 800 Jahre Gießener Geschichte)


Aus einem Lehrbuch für die Artillerie des Gießener Büchsenmachers Jost Burck (StAD D 11 21/2).
 

Die Pest in Gießen

Wenn wir an Pest denken, haben wir meist die mittelalterlichen Pestzüge des 1.Jahrhunderts vor Augen. Doch ist die Pest nach dem Abflauen dieser Pandemie nicht aus Europa verschwunden. Immer wieder hat es kleinere Epidemien gegeben, noch bis ins 17. Jahrhundert während des Dreißigjährigen Krieges – und Gießen blieb davon nicht verschont. Kriegszeiten bedeuteten große Belastungen für die betroffenen Kommunen. Dies galt insbesondere für Festungsstädte. Hier waren es nicht allein die Kampfhandlungen sondern auch ausbrechende Seuchen, die Militärpersonal wie Bevölkerung gleichermaßen gefährdeten. Für das 16. und 17. Jahrhundert traf dies auf verschiedene Pestepidemien zu, die Gießen und Oberhessen verheerten.


Daniel Greser (Stadtarchiv Gießen).

Über die Pest des Jahres 1532 wissen wir aus den Erinnerungen des Gießener Pfarrers Daniel Greser, der über seine Erlebnisse und sein Verhalten während dieser Epidemie in seinen Lebenserinnerungen berichtet:
„Ich bin auch (…) zu Giessen in einem grossen Sterben gewesen. Wie denn Giessen selten ohne Pestilenz ist, weil die Landstrasse aus vielen Landen nach Franckfurt dadurch gehet und aus Reussen und Preussen, und allen Landen Deutscher Nation, die Franckfurter Meß besucht wird.
In diesem Sterben hab ich manchen Tag zu vier und fünff Krancken, so mit der anfallenden Pestilentzseuch, behafft gewesen, sie zu trösten und zu communici-ren, gehen müssen. Habe keine sonderliche Artzney gebraucht, sondern daheim im Hause, habe ich mit meinem Weibe, Kindern und Gesinde nur ein electua-rium (Latwerge oder Sirup – L.B.), allen morgen so viel als eine halbe Nus gros, gebraucht und eingenommen, welches electuarium ich mir selbst zu richtete, und hatte diese ingredientia: Welsche Nuskern (Wallnusskerne – L.B.), so dürr Feigen, Rauken und Salz das sties ich mit einem Mörsell, das es wie ein teigk wurde und thet darzu einen guten sawren Essig, doch des nicht zu viel, damit das electuarium nicht zu viel soppen bekommen, und gar zu dünne werden möchte.
Solch electuarium, so von der Raute gar eine grüne farbe bekahm, brauchte ich, sampt meinem Hausgesinde, des Morgens nüchtern, und habs für Pestilentialische luft nicht undienlichen befunden.
Wenn ich aber zu Krancken gieng, gebrauchte ich dis electuarium auch, und nam ein stuck Angelica (Engelswurz – L.B.) in Mundt, schmirete auch den ober Knebelbarth mit Essige, das ich, wenn ich wollte, denselbigen zu mir schnuppen, und mit der Nase daran richen kunte (…). Auch nam ich ein Schwemlin in Essig getunckt in die Hand, das ich bey den Krancken dran riechen kunte, und der Pestilenzialische gestanck von mir nicht möchte gerochen werden.
Dis regiment habe ich gehalten, wenn ich zu den Krancken gegangen bin. Für allen dingen aber, wenn ich gehen wollte, befahl ich mich Gott, und Betet mein Vater unser, stalte es Gott heim, ob er mich gesund erhalten wollte, wie er denn wolthun würde, wenn er mich lenger gedechte zu brauchen, ober aber ob er mich krank werden, und sterben lassen wollte (…). Ich hatte auch einen sondern Rock, den ich allein darzu gebrauchte, wenn ich bey den Krancken mein Ampt verrichtet hatte, und wieder heim kam, gienge ich in dem Rock nicht als bald zu meinem Gesinde, sondern in Garten, so ich hinderm Hause hatte, hingk erstlich den Rock auff, lies die lufft dardurch gehen, und wenn ich ihn nachmals in meiner studier stube hingelegt, durffte meines Gesindes keines darzu kommen. Wenn ich seiner denn wider bedurffte, nam ich ihn wieder umb.“
(Historia und Beschreibunge des gantzen Lauffs und Lebens, wie nemblich ich Daniel Greiser, Pfarrer und Superintendens in Dresden meinen Curriculum Vitae vom 1504. Jahre an bis ins itzo lauffende 1587. Jar als nun mehr ein 83jähriger durch Göttliche gnad geführet habe. Von mir selbsten für meinem seligen ende schlecht und einfeltig den gutherzigen, so dessen gerne Wissenschaft tragen möchten zusammen bracht. Dresdae, S. 46-51.)

Die größte Pestepidemie, von der wir in Gießen wissen, ereignete sich im Jahre 1635 – mitten im Dreißigjährigen Krieg, als im April des Jahres 1635 in Gießen die ersten 26 Pest-Toten zu beklagen waren. Doch dies war erst der Beginn. Im Juni „fachte sich die Pest“ erst richtig an. Dies äußert sich im folgenden Monat darin, dass die kirchlichen Sterberegister von der bis dahin gepflogenen monatlichen Buchführung zur täglichen Notierung der Toten übergehen mussten. Wie gravierend diese Seuche für Gießen war, lässt sich daran ermessen, dass es für die Stadt unmöglich war, aus den Reihen der Bürger einen „Pestbalbierer“ zu rekrutieren. Bereits Verpflichtete entzogen sich ihrem Dienst durch Flucht und auch die Anstellung neuer Personen für diese Funktion währte nicht lange. Schließlich mussten auswärtige Pestbalbierer und Fremde diesen Dienst verrichten. Immer wieder sorgte der Stadtrat durch Aufwendung erheblicher Kosten dafür, dass die Pesttoten angemessen versorgt wurden. Erst gegen Ende des Jahres hatte sich die Seuche ausgetobt. Insgesamt fielen dieser Pestepidemie in Gießen über 1500 Personen zum Opfer.
 

Geschichten von Krieg und Frieden

Gedichte der Barockzeit

Des Krieges Buchstaben:
K–ummer, der das Mark verzehret,
R–aub, der Hab und Gut verheeret,
J–ammer, der den Sinn verkehret,
E–lend, das den Leib beschweret,
G–rausamkeit, die Unrecht mehret

Sind die Frucht, die Krieg gewähret.

Friedrich Freiherr von Logau (1604 - 1655), deutscher Jurist, Satiriker, Epigramm- und Barockdichter, Pseudonym: Solomon von Golaw
 

Fröhlicher Tod
Es ist ein fröhlich Ding um aller Menschen Sterben:
Es freuen sich darauf die gerne-reichen Erben; Die Priester freuen sich, das Opfer zu genießen; Die Würmer freuen sich an einem guten Bissen; Die Engel freuen sich, die Seelen heimzuführen; Der Teufel freut sich, im Fall sie ihm gebühren.

Friedrich Freiherr von Logau (1604 - 1655), deutscher Jurist, Satiriker, Epigramm- und Barockdichter, Pseudonym: Solomon von Golaw


Wozu dienet das Studieren
als zu lauter Ungemach?
Unterdessen läuft der Bach
unseres Lebens, das wir führen,
ehe wir es inne werden,
auf sein letztes Ende hin,
dann kommt ohne Geist und Sinn
dieses alles in die Erden.

Martin Opitz (1597 - 1639), 1627 geadelt zu Opitz von Boberfeld, deutscher Dichter, machte u.a. Sonett, Epigramm und Ode bekannt, schrieb Lyrik, Lehrgedichte und Hirtendichtung


Ist Lieb ein Feur
und kann das Eisen schmiegen
bin ich voll Feur und voller Liebes Pein wohrvohn mag doch der Liebsten Hertze seyn? wans eisern wär, so würd eß mir erliegen wans gülden wär, so würd ichs können biegen durch meine Gluht ; solls aber fleischern seyn so schließ ich fort: Eß ist ein fleischern Stein: doch kann mich nicht ein Stein wie sie betriegen. Ists dan wie Frost, wie kalter Schnee und Eiß wie presst sie dann auß mir den Liebesschweiß? Mich deucht: Ihr Herz ist wie die Loorbeerblätter die nichts berührt ein starcker Donnerkeil sie, sie verlacht, Cupido, deine Pfeil;
und ist befreyt für deinem Donnerwetter.

Sibylla Schwarz (1621 - 1638), deutsche Dichterin


Mit schwerbelad‘nem Pferd
kam von der Mühle ich –
Ach, wer dies Mädel sieht,
dem dreht sich der Verstand:
Wohl fünfzehn Jahre alt,
mit fünfundvierzig Zöpfen …
Was tun? Ein Mädel hat
mich ›Onkelchen‹ genannt …!

Karacaolan türkischer Volkssänger des 17. Jahrhunderts


Auf den Technikus
Technikus kann alle Sachen
Andre Leute lehren, selbsten machen,
Reiten kann er, fechten, tanzen,
Bauen kann er Städt‘ und Schanzen;
Singen kann er, messen rechnen,
Schön und zierlich kann er sprechen;
Stadt und Land kann er regieren,
Recht und Sachen kann er führen;
Alle Krankheit kann er dämpfen,
Für die Wahrheit kann er kämpfen;
Alle Sterne kann er nennen,
Bös‘ und Gutes kann er kennen,
Gold und Silber kann er suchen,
Brauen kann er, backen, kochen;
Pflanzen kann er, säen pflügen,
Und zuletzt – erschrecklich lügen!

Friedrich Freiherr von Logau (1604 - 1655), deutscher Jurist, Satiriker, Epigramm- und Barockdichter, Pseudonym: Solomon von Golaw
Quelle: Logau: Salomons von Golaw Deutscher Sinn=Getichte Drey Tausend, 1654. Originaltext

 

Eine Grabinschrift:
Hier liegt ein Geistlicher, ein Muster unserer Stadt,
Der oft zur Kriegeszeit also gebetet hat:
Hör unser Flehn, o Gott! In Not wir vor dich treten!
Wo nicht, erhöre nur, was die Soldaten beten!
Wir bitten, daß der Krieg doch einmal enden wolle;
Sie aber, daß sie gleich der Teufel holen solle.

Wenzel Scherffer von Scherffenstein (um 1603 - 1674), deutscher Epigrammdichter


Was kostet unser Fried?
O, wie viel Zeit und Jahre!
Was kostet unser Fried?
O, wie viel graue Haare!
Was kostet unser Fried?
O, wie viel Ströme Blut!
Was kostet unser Fried?
O, wie viel Tonnen Gut!

Friedrich Freiherr von Logau (1604 - 1655), deutscher Jurist, Satiriker, Epigramm- und Barockdichter, Pseudonym: Solomon von Golaw
Quelle: Logau: Salomons von Golaw Deutscher Sinn=Getichte Drey Tausend, 1654. Originaltext


Menschliches Elende
Was sind wir Menschen doch! Ein Wohnhaus grimmer Schmerzen,
Ein Ball des falschen Glücks, ein Irrlicht dieser Zeit,
Ein Schauplatz herber Angst, besetzt mit scharfem Leid,
Ein bald verschmelzter Schnee und abgebrannte Kerzen.
Dies Leben fleucht davon wie ein Geschwätz und Scherzen.
Die vor uns abgelegt des schwachen Leibes Kleid
Und in das Toten-Buch der großen Sterblichkeit
Längst eingeschrieben sind, sind uns aus Sinn und Herzen.
Gleich wie ein eitel Traum leicht aus der Acht hinfällt
Und wie ein Strom verscheußt, den keine Macht aufhält,
So muß auch unser Nam, Lob, Ehr und Ruhm verschwinden.
Was itzund Athem holt, muß mit der Luft entfliehn,
Was nach uns kommen wird, wird uns ins Grab nachziehn.
Was sag ich? Wir vergehn wie Rauch von starken Winden.

Andreas Gryphius (1616 - 1664), eigentlich Andreas Greif, Syndikus der Glogauer Stände, deutscher Dramatiker und Lyriker


Aus dem Leben von Frau Schmalz

Guten Tag, mein Name ist Schmalz. Man nannte mich vielleicht auch „die Schmalzin“. Mit meiner Biografie werden Sie sich schwer tun. Ich bin eine gänzlich unbekannte Frau aus dem 16. Jahrhundert. Dass Sie überhaupt von mir wissen, haben wir meinem Ehemann zu verdanken, dem Festungskommandanten Adam Schmalz und natürlich dem Familienportrait, das mich mit meinem Mann und meinem Sohn, der ebenfalls Adam heißt, zeigt.
Sie fragen sich, ob es eine Liebesheirat war? Was soll das gewesen sein? Die Romantik mit ihrem Beziehungsideal wurde doch erst viel später erfunden. Dann überlegen Sie vielleicht, wo und wie wir uns kennengelernt haben, ob Adam um mich warb und in welcher Weise?
Stellen Sie sich am besten vor, dass sich unsere Eltern zusammen taten. Sie haben die Sache beraten, meine Mitgift wurde festgelegt und unsere Ehe war beschlossen.
Mit welchen Erwartungen kam ich wohl nach Gießen? Voller Vorfreude? Ängstlich? Ablehnend? Kannte ich solche Gefühle? Gab es dafür Worte und Begriffe? Kam ich wohl mit meinem Mann hierher oder war ich eine Gießenerin, eingebunden in das hiesige Leben…?
Vielleicht versuchen Sie sich vorzustellen, wie so ein ganz normaler Tag, sagen wir ein Dienstag, ausgesehen hat? Von welchen Geräuschen wurde ich geweckt? Von wiehernden Pferden, von Handwerkern, die klopften, schlugen oder laut-hals über den großen Exerzierplatz brüllten. Heute kennen Sie ihn als Brandplatz. Wurde ich sanft von meinem Mann mit einem Kuss in den Tag geholt? Wer weiß? Ich hatte, wie Sie wissen, ein Söhnchen. War er es, der an mein Bett kam? War es eine Magd? Hatte sie bereits Feuer gemacht oder war der Raum kalt? Was frühstückte ich? Heißes Gerstenmalz oder Bier mit gewürztem Getreidebrei? Kochte ich selbst oder gab ich lediglich Anweisungen? Welches Personal stand mir zur Verfügung und welchen Ärger hatte ich mit Mägden und Knechten? Gab es genug Kräfte oder verbindet uns über die Jahrhunderte hinweg die ewige Personalknappheit? Falls ich nur Anweisungen geben musste bzgl. des Essens, der Wäsche, der Reinhaltung des Hauses, des Gartens und des Viehs, was machte ich mit meiner Zeit? Was war mir wichtig? Hatte ich als Frau des Festungskommandanten z.B. Repräsentationspflichten oder widmete ich mich vor allem der Betreuung und Erziehung meines Kindes? Wir hatten nur eins. War es Glück? Unglück? Oder kannte ich mich einfach nur gut mit der Verhütung aus…Konnte ich lesen und schreiben und wenn ja, welche Lektüre war für mich von Bedeutung? Welche Briefe schrieb ich und an wen? Gab es überhaupt das Bedürfnis, mich mitzuteilen, auszutauschen, mich schreibend und lesend zu erklären? Vermutlich war Gott mein wichtigster Ansprechpartner!
Vielleicht ging ich ja an meinen freien Nachmittagen an der Lahn spazieren….nein, ich höre Sie lachen! Der Spaziergang war noch nicht erfunden und die Lahn noch sehr lange Zeit wahrlich kein Naherholungsgebiet! Ein Ziel mag Kloster Schiffenberg gewesen sein, vielleicht auch das Frauenkloster unterhalb. Wie kam ich dort hin? Zu Fuß? Konnte ich reiten? Hatte ich eine Kutsche? Hatte ich überhaupt etwas, über das ich frei verfügen konnte und das nur mir gehörte? Hatte ich Eigentum und hat mich diese Frage überhaupt beschäftigt?Die Universitätsgründung 1607 hat das Gießener Leben ein wenig verändert. Es fand sich sicher der eine oder andere Professor bei uns ein. Lud sich mein Mann die Herren zum Abendessen ein? Durfte ich die Gäste begrüßen? Saß ich während des Essens mit dabei?
Ach, das wollen Sie gar nicht wissen? Sie interessieren sich viel mehr für das Gemälde! Sie möchten wissen, wie das Bild entstanden ist und wer der Maler war? Ich würde Ihnen wirklich gerne erzählen, warum mein Mann es in Auftrag gab und wer uns gemalt hat auf genau diese Weise: meinen Mann und mich, zusammen mit unserem Kind. Aber die vielen Jahre lassen sich nur schwer überbrücken, 400 Jahre… Sie können mich leider nicht mehr verstehen…
Ihre Zeit….. sie ist nicht leise genug……

(Karola Drews 2018)

Todenwarts Verlust

Anton Wolff von Todenwart war in der Mitte der dreißiger Jahre des 17. Jahr-hunderts Rat und Statthalter des hessischen Landgrafen Georg II. Er war der maßgebliche, fast allmächtige Politiker der Landgrafschaft, der in den Jahren des dreißigjährigen Krieges einige schwierige diplomatische Aufgaben löste und bei den Friedensverhandlungen des Jahres 1635 eine wichtige Rolle spielte.
Die Gießener Kirchenbücher verzeichnen unter dem 10. Juni 1635 unter den Toten „Doctor Cantzler Wolffen sein Weib“. Todenwarts Frau, Catharina hielt sich in Gießen auf, weil sie zusammen mit dem damstädter Hof nach Gießen geflohen war. Sie fiel der Pest zum Opfer, die keinen Unterschied machte und auch höhere gesellschaftliche Schichten nicht verschonte.
Die Reaktion des Ehemannes, Anton Wolff von Todenwarts, rührt uns auch heute nach mehr als dreihundert Jahren noch an, und zeigt bis in die Gegenwart konkrete Wirkung.
Am Besten drückt dies Anton Wolff von Todenwart selbst aus:
„Nachdeme der ewige fromme Gott, nach seinem alle Zeit heyligen, gerechten und weisen Willen und Wohlgefallen, deme niemand widerstreben soll, noch kann, mir Antonio Wolffen von Todenwart, (…) alß eben in des Heyligen Römi-schen Reichs hochwichtig und nöthigsten Friedens Sachen, Ich von den meini-gen abwesend, und nach wohlvollbrachter Verrichtung, in starcker Arbeit, und guter zu Gott geschöpfter Speranz begriffen war, mit recht erfreutem Herzen, in Fried und Segen wieder haim zukommen, meine in privatis getragenen Hofnungsgedancken [hat – L.B.] so weit [fehlen] und mißlingen lassen, daß inmittelst die weyland edle vielehrenhafte und tugendreiche Fraw Catharina Wolffen von Todenwart, geborne Beeck, meine freundliche hertzlibste Hausfraw (deren langwüriger Kranckheit und Schwachheit Bewandnus und Gefährlichkeit, aus landsfürstlichem Befehl, in Besorgung, daß ich sonst möchte an der hailsamen Friedensarbeit turbirt und gehindert werden, mir biß nach ihrem Tod verhölet und verborgen gebliben) am zehnten Juni alten Calenders, früh zwischen fünff und sechs Uhr, dieses nach Christi Gebuhrt noch correnden Sechzehnhundert fünff und dreyssigsten Iahrs, eines zwar sonsten seeligen Abschieds, jedoch zu meiner höchsten Betrübnis, aus diesser bösen irrdischen, untrewen Welt abge-schieden, und Ich deren, wider Ihren und meinen, sonst hertzinniglichst geführ-ten Wunsch, nimmer wider ansichtig worden, welches alles dem Allmächtigen, der es also geschickt und haben wollen, gedultig hingegeben, und in festem Vertrauen auf die fröliche Widerzusammenkommung in der ewigen Glori und Herrlichkeit, demütig befohlen sey.“

Mit diesen Worten, leitete Anton Wolff von Todenwart das Dokument ein, mit dem er eine Stiftung zum Andenken an seine verstorbene Ehefrau zugunsten der Gießener Hausarmen errichtete.
Nach den Stiftungsbestimmungen sollten alljährlich am 10. Juni früh zwischen 5 und 6 Uhr (das ist der Todeszeitpunkt der Catharina Wolff von Todenwart) in der Stadtkirche zu Gießen die Stiftungserträge zu gleichen Teilen an diejenigen Hausarmen gegeben werden, die sich hatten „gebührlich einschreiben lassen“. Die Stadt erfüllte ihre Verpflichtungen. Dies war zunächst auch keine Schwierigkeit, da die Stiftungsgrundstücke die entsprechenden Beträge abwarfen. Im Laufe der Zeit, insbesondere nach der Inflation 1923, versuchte sich die Stadt mehrfach auch von den Verpflichtungen der Todenwartschen Stiftung zu lösen. Ein Gerichtsurteil aus dem Jahre 1928 zwang die Stadt Gießen jedoch zur weiteren Erfüllung der Stiftungspflichten.
Nach verschiedenen Neuregelungen werden bis heute alljährlich Beträge ausgeschüttet. Nach den jüngsten Änderungen werden die Auszahlungsbeträge nicht mehr an Einzelpersonen, sondern an gemeinnützige Organisationen vergeben.

 


Grabmal von Frau Todenwart auf dem Alten Friedhof (transit giessen).

Kleiderprobe

In der Nähe der Station Festungsstadt hängen auf einem Kleiderständer Kostüme in barockem Stil, die das Theater freundlicherweise zur Verfügung gestellt hat.
Ein Abbild des Familienportraits Schmaltz ist an der Wand festgemacht, ein Spiegel steht bereit.
Hier können Wams und Federhut, Jacke, Rock oder Pluderhose, wie auf dem Schmaltz-Bild zu sehen, übergezogen werden: Wie guckt es sich aus derartiger Kleidung?


  

    

 
Moderne Erscheinungen der Familie Schmaltz (transit giessen)